Der Mythos Glashütte. Das Ergebnis einer Recherche (Teil 2)

Fortsetzung von: Der Mythos Glashütte. Das Ergebnis einer Recherche (Teil 1)

Tutima

Aus der Konkursmasse der Deutschen Präzisions-Uhrenfabrik Glashütte e.G.m.b.H (DPUG) werden im Dezember 1926 – auf Veranlassung der Gläubiger-Banken – die Aktiengesellschaften Uhren-Rohwerkefabrik AG (UROFA) und Uhrenfabrik Glashütte AG (UFAG) gegründet. Im Konkursverfahren der (DPUG) wirkte Dr. Kurtz als Justiziar mit. Im weiteren wurde Dr. Ernst Kurtz dann mit der Gründung der beiden neuen Gesellschaften beauftragt und zum Geschäftsführer und alleinigen Vorstand beider Unternehmen berufen.

Die Produktion wird weitgehend auf Armbanduhren umgestellt. Eines der ersten deutschen Armbanduhrwerke wird entwickelt und produziert.

Als mit Jahresbeginn 1927 die UROFA und die UFAG ihren Betrieb aufnahmen, war dies der Beginn der modernen Ära der Armbanduhr in Glashütte. Zum großen Erfolg der Marke trug neben dem außergewöhnlichen Qualitätsanspruch auch die Beharrlichkeit des Firmengründers Dr. Ernst Kurtz und sein Gespür für die Erfordernisse des Marktes bei. Die Spitzenqualitäten trugen den Namen „Tutima“ auf dem Zifferblatt.

Der Name soll sich vom lateinischen Adjektiv „tutus“ („sicher, geschützt“) ableiten. Bekanntestes Produkt ist der Fliegerchronograph 1941, der als offizielle Replik des Fliegerchronographen der UFAG/UROFA von 1941 gilt.

Wie in zahlreichen anderen Betrieben auch, wurde auch bei der UFAG und UROFA die Produktion vermehrt auf Kriegsgerät umgestellt. Gegen Kriegsende werden einige dieser Produktionszweige zu ihrem Schutz vor Bombenangriffen in kleinere Dörfer, unter anderem nach Memmelsdorf in Unterfranken, ausgelagert. Nach Kriegsende 1945, als die Uhrenindustrie in Glashütte in Trümmern lag, machte Dr. Ernst Kurtz das nahezu Unmögliche möglich.

Nachdem sich Dr. Kurtz bereits am 25. April 1945 als Bürger in Memmelsdorf angemeldet hatte und Teile des noch vorhandenen Rohwerkebestandes hatte dorthin bringen lassen, entzog er sich dem drohenden Zugriff der Roten Armee und verließ Glashütte am 7. Mai 1945 endgültig, um nach Kriegsende mit dem verbliebenen Bestand an Rohwerken eine neue Existenz aufzubauen. Noch im gleichen Jahr gründete er dort eine Uhrenfabrikation unter dem Namen „Uhrenfabrik Kurtz“. Die Basis dieses Unternehmens bildete der aus Glashütte ausgelagerte Montagebetrieb.

Mit unermüdlichem Einsatz und unternehmerischem Mut setzte er die Uhrenfertigung in Memmelsdorf, gemeinsam mit einigen ehemaligen Mitarbeitern aus Glashütte, fort.

1951 verlagerte er die Produktion dann an den heutigen Standort in Ganderkesee, Niedersachsen. Damit schuf er in wirtschaftlich schwierigen Zeiten eine wesentliche Grundvoraussetzung für das Unternehmen und die Wiedergeburt der Marke „Tutima“.

Nachdem die „Uhrenfabrik Kurtz“ 1960 vor dem Aus stand und um zumindest in Teilen weiterbestehen zu können, die Uhrenfabrikation auf Automatendrehteile umstellen musste, hat der ehemalige Mitarbeiter, Dieter Delecate, sich mit einer eigenen Uhrengroßhandelsfirma selbstständig gemacht. Er war es auch, der die Uhrenfabrikation, unter Zukauf fremder Rohwerke wieder aufnahm. Seine Uhren erhielten den von Dr. Ernst Kurtz in Glashütte gegründeten Namen „Tutima“. Am 7. April 1970 wurde der Name „Tutima“ für Dieter Delecate beim Deutschen Patentamt geschützt.

Im Jahr 1985 entstand der mechanische Military Chronograph 798, der eine Neuentwicklung von Tutima im Auftrag der Deutschen Bundeswehr war und seither Standardausrüstung der Bundeswehrpiloten und offizielle NATO-Uhr geworden ist.

Nach der Wende von 1989/90 stellte sich für den Geschäftsführer Dieter Delecate die Frage nach einer Rückkehr von Tutima nach Glashütte. Aber erst 2005 fand er ein geeignetes Gebäude in der ehemaligen Bahnmeisterei an der Altenberger Straße, nur unweit vom Standort der ehemaligen UROFA entfernt. 2008 waren die Umbauarbeiten abgeschlossen, die Eröffnung erfolgte aber erst drei Jahre später, am 12. Mai 2011. Bis zur offiziellen Eröffnungsfeier ließ sich die Uhrenmarke Tutima Zeit. Das lag nicht nur am Umbau, sondern auch an der Uhr, die man präsentieren wollte. Obwohl Tutima historisch vor allem für Fliegeruhren steht, sollte ein besonders hochwertiges Modell an die Schaffenskraft des Gründers und Visionärs Ernst Kurtz erinnern.

Einen geeigneten Partner fanden die Delecates im renommierten Uhrmachermeister Rolf Lang. Der langjährige Chefrestaurator im Mathematisch-Physikalischen Salon in Dresden war zuvor unter anderem für A.Lange & Söhne und H. Moser & Cie. tätig gewesen. Lang suchte ein kleines Team zusammen, mit dem Tutima nun in seine zweite Glashütter Ära geht. In Zukunft soll wieder die gesamte Produktion in Glashütte stattfinden. In Ganderkesee verbleibt jener Teil der Produktion, der sich unter anderem Delecates Zweitmarke Boccia widmet.

Moritz Grossmann

Der Uhrmacher Moritz Grossmann kehrt 1854 nach einigen Jahren der Wanderschaft nach Dresden zurück. Sein Freund Ferdinand Adolph Lange, der unterdessen die Uhrenindustrie in Glashütte begründete, holt ihn ins Erzgebirge und überzeugt ihn, dort eine mechanische Werkstatt aufzubauen. Moritz Grossmann entwickelt den Glashütter Drehstuhl (eine Art Drehbank), sowie den Ankergang und die Chronometerwippe; er fertigt Gangmodelle, feine Taschenuhren, Präzisionspendeluhren und Chronometer an.

Nach seinem plötzlichen Tod 1885 wird die Uhrenfabrik Moritz Grossmann aufgelöst. Es dauerte 123 Jahre bis am 11. November 2008 Christine Hutter, die Grossmann Uhren GmbH in Glashütte neu gründete und den Namen wiederbelebte. In zunächst angemieteten Gebäuden begann die begeisterte Uhrmacherin die Arbeiten an einer neuen Kollektion mit eigenem Manufakturwerk.

Der für die Gründung des Unternehmens notwendige finanzielle Grundstock stammt jedoch aus großzügig bemessenen Fördergeldern des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung (2,6 Mio €) und von zahlungskräftigen Investoren aus der Schweiz. Dies erst machte den auf Stelzen stehenden eindrucksvollen Neubau der Uhrenmanufaktur Moritz Grossmann möglich. Ähnlich einem Schiff thront das Gebäude, mit einer Höhe von rund 18 Metern, am Ufer der Müglitz über der Stadt.

Das Modell Benu, mit dem Moritz Grossmann in den Markt der Luxusuhren eintritt, besteht aus 188 Einzelteilen. Nahezu jedes Teil wird laut Moritz Grossmann im eigenen Haus und überwiegend von Hand gefertigt.

In ein paar Jahren wird sich zeigen, ob sich Moritz Grossmann im gut besetzten Segment der Luxusuhren einen festen Platz sichern kann und damit den hohen Erwartungen gerecht wird.

NOMOS

Von 1906 bis 1910 gab es die Nomos-Uhr-Gesellschaft, Guido Müller & Co., welche Schweizer Uhren importierte und sie anschließend mit dem prestigeträchtigeren (und profitableren) Zusatz „Glashütte/Sachsen“ vertrieb. A. Lange & Söhne ließ diese Geschäftspraxis gerichtlich unterbinden, so dass die ursprüngliche NOMOS bereits 1910 den Geschäftsbetrieb wieder einstellte.

1990 meldet der Düsseldorfer EDV-Experte und Fotograf Roland Schwertner quasi aus dem Nichts die Marke NOMOS Glashütte/SA an. Die erste Uhrenkollektion kam 1992 auf den Markt. Bis 2005 wurden finissierte Schweizer Serienwerke von Eta oder Peseux verbaut, die nach und nach modifiziert und umfangreich veredelt wurden.

Um die Uhren mit der Herkunftsbezeichnung „Glashütte“ bezeichnen zu dürfen, muss der Hersteller mindestens 50% der Wertschöpfung am Kaliber vor Ort in Glashütte fertigen. Bei NOMOS Glashüte sind es heute durch die Fertigung eigener Kaliber je nach Modell 75% bis zu 95%. NOMOS unterhält zwei Produktionsstätten am Ort.

Im ehemaligen Bahnhof von Glashütte befindet sich das Teilefertigungs- und Verwaltungsgebäude, in der Chronometrie am Erbenhang über Glashütte ist die Feinuhrmacherei untergebracht. NOMOS ist heute ein organisch gewachsenes, gut aufgestelltes Unternehmen, welches sich fest auf dem Weltmarkt etabliert hat und über eine stetig wachsende Fangemeinde verfügt. Die bezahlbaren Preise tun dabei ihr übriges.

Die Unternehmensgeschichte ist nahezu makellos, wäre da nicht ein leichter Beigeschmack wegen eines Rechtsstreits zwischen NOMOS und Mühle Glashütte, welcher Mühle, infolge horrender Schadenersatzforderungen seitens NOMOS, im Oktober 2007 in die Insolvenz trieb.

Bruno Söhnle

Die Firma war seit 1982 als Partner der damaligen VEB Glashütter Uhrenbetriebe (GUB) und ab 1997 als Vertriebspartner für die MÜHLE Glashütte Nautische Instrumente GmbH tätig.

Im Jahr 2000 wurde die Bruno Söhnle Uhrenatelier Glashütte i/SA gegründet. Die Glashütter Produktionsstätte befindet sich seit rund 10 Jahren in den geschichtsträchtigen Räumen der ehemaligen Firma J. Assmann/Glashütte i.SA, Deutsche Anker-Uhren-Fabrik. Die Firma Assmann war nach A. Lange & Söhne einer der bekanntesten Glashütter Betriebe, in dem Taschenuhren aller Qualitätsstufen und Komplikationsgrade entstanden

2006 erwarb Bruno Söhnle das Assmann Haus und führte in jüngerer Zeit umfangreiche Um- und Ausbauarbeiten am Gebäude durch. Seit April 2012 verfügt Bruno Söhnle nach eigenen Angaben nun über Räumlichkeiten, die den anspruchsvollen Produktionsprozessen moderner Uhrmacherei gerecht werden.

Die Erstproduktion umfasste 39 Modelle. Anfang 2004 waren daraus schon 120 Modelle geworden. Der Großteil der Uhrenbestandteile wird in Deutschland hergestellt; zumeist werden jedoch Quarzwerke verbaut.

2010 begann Bruno Söhnle mit der Fertigung von mechanischen Uhren, darunter auch ein Modell mit einem neu entwickeltem Handaufzug-Kaliber, welches in der Edition I Verwendung findet.

Hemess

Carsten Hellmann als Geschäftsführer und der Uhrentechniker Jürgen Fritsch haben sich 2008 in der traditionsreichen Uhrenstadt Glashütte mit der Marke HEMESS den Traum von einer eigenen Uhrenmanufaktur erfüllt.

Das Design der Uhren lehnte sich an den Stil der 1960er Jahre an. Es gabt die beiden Reihen Classic und Royal. Die Gehäuse wurden bei der Sächsischen Uhrentechnologie GmbH (SUG) gefertigt. Als Basiskaliber kam das Automatikwerk Miyota 8215 zum Einsatz, das zerlegt, überarbeitet und sehr aufwendig finissiert wurde.

Beim Blick auf die Uhren von HEMESS erkannte man eine gewisse Ähnlichkeit zur Spezimatik, dem Klassiker des Ostens. Das Kaliber HEMESS 8215 besitzt die typische Glashütter Dreiviertel-Platine. Aber im Gegensatz zur Spezimatik ist das Werk hochfein verdedelt, die Oberflächen sind matt vergoldet, der Unruhkloben ist mit einer dekorativen Handgravur versehen.

Im Verkaufs- und Ausstellungsraum der Firma wurde anhand von ca. 300 Exponaten aus eigener Sammlung die Geschichte des Uhrenbaus in Glashütte in der Zeit von 1945 bis 1990 veranschaulicht. Zu sehen gab es zahlreiche Varianten der auch heute noch bekannten Spezimatic, die in den 60er und 70er Jahren bei den VEB Glashütter Uhrenbetrieben produziert wurden.

C.H. Wolf

Seit Oktober 2014 firmiert der bisher als „Hemess Zeitmeßtechnik“ bekannte Glashütter
Uhrenhersteller unter dem Namen „C. H. Wolf GmbH“.
Als Geschäftsführer sind Jürgen Werner und Christoph Pfeiffer tätig.
Die umfangreichen Sanierungsarbeiten am historischen Gebäude der gleichnamigen Turmuhren-Fabrik sind abgeschlossen. Im Zuge der Namens-Änderung erfolgt auch der Relaunch der Firmen-Webseite und der Online-Boutique: beide sind ab sofort unter www.c-h-wolf.de. zu finden.

Als nächste Meilensteine auf dem Weg zur Manufaktur arbeitet das Team von C. H. Wolf an einem eigenen, komplett im Haus entwickelten Kaliber und verschiedenen Modulen für Komplikationen.

Ungeahnte Möglichkeiten eröffnet auch die Kooperation mit dem Schweizer Uhrwerkshersteller Eterna Movement S. A.: sie erlaubt C. H. Wolf das Eterna Movement SA Kaliber 39 als Basiskaliber, unter strenger Berücksichtigung der Wertschöpfungsregeln in Glashütte, für eigene Uhren zu nutzen.

 

Fortsetzung: Der Mythos Glashütte. Das Ergebnis einer Recherche (Teil 3) 

 

Der Autor:
Herr Dipl.-Ing. (FH) Patrick Weigert ist als Geschäftsführer einer Unternehmensberatungsgesellschaft überwiegend für deutsche Automobilhersteller und deren Zulieferer tätig und als begeisterter Uhrensammler auch Mitbegründer und Gesellschafter beim Deutschen Uhrenportal.

Quellenangabe:
Einzelne Textbausteine zusammengestellt aus Wikipedia und Uhren-Wiki, ergänzt um umfassende Recherchen zu den Einzelthemen sowie Erkenntnissen aus zahlreichen Gesprächen vor Ort.

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