Die Uhrenindustrie sieht zunehmend schwierigere Zeiten auf sich zukommen. Nachdem Audemars Piguet in China zuvor bereits einige Boutiquen wegen rückläufiger Umsätze geschlossen hat, haben TAG Heuer und Cartier nicht nur begonnen, die Produktion herunterzufahren und demzufolge Kurzarbeit angemeldet, es sind auch bereits erste Entlassungen erfolgt.
Unter den Überschriften „Luxus wird den Reichen zu teuer“ oder „Entlassungen und Kurzarbeit auch bei TAG Heuer“ wird wohl auch dem letzten Zweckoptimisten klar, dass der Wind jetzt aus einer anderen Richtung pfeift und zwar mit zunehmender Intensität.
Die zahlreichen Gründe hierfür sind schnell ausgemacht:
- Die vielen Krisenherde weltweit und damit verbundenen sozialen Unruhen
- Die verschärften Antikorruptionsgesetze in China
- Die sich auf vielen wichtigen Märkten eintrübenden Wirtschaftsaussichten
- Die wiederkehrenden Unsicherheiten auf den Finanzmärkten und der angefachte Währungskrieg
- Die überproportionalen Preissteigerungen der letzten 10 Jahre bei Luxusartikeln
- Hohe finanzielle Belastungen durch die vorangetriebene Vertikalisierung bei vielen Herstellern
- Eine Rückkehr des Preisbewusstseins, auch bei den Besserverdienenden
- Das Überangebot an Luxusmarken und Luxusartikeln und der sich verschärfende Wettbewerb
- Die neue, von etablierten Herstellern noch völlig unterschätzte Gefahr durch den gerade erst einsetzenden Trend zu Smartwatches und Wearables
Durch das Ineinandergreifen bzw. die Subsummation einzelner Kriterien und ihrer zum Teil schwerwiegenden Abhängigkeiten bildet sich hier ein brandgefährlicher Cocktail heran, der in der näheren und auch ferneren Zukunft zu einer enormen Belastung bei Anbietern von Luxusartikeln im Allgemeinen und bei Uhren im Besonderen führen wird. Man könnte auch von ersten Anzeichen einer Blasenbildung sprechen. Insofern dürfte die bevorstehende neuerliche Belastungsprobe in nicht allzu weiter Ferne liegen.
Wie sagte bereits vor gut zwei Jahrzehnten Eberhard von Kuenheim (ehemaliger Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratschef der Bayerischen Motorenwerke) vor dem Hintergrund, dass Wettbewerb mehr und mehr eine Frage der richtigen Beherrschbarkeit von Zeit und Ressourcen ist: „Nicht die Großen fressen die Kleinen, sondern die Schnellen die Langsamen.“
Nur wer sich rasch den veränderten Gegebenheiten anpasst, wird den jetzt wichtigen Sprung nach vorne schaffen. Wehe dem, der sich in hausgemachten Problemen gefangen sieht und sich von Lasten und Verpflichtungen, denen er sich unterworfen hat, nicht rechtzeitig befreien kann. Und wer glaubt, das Ganze sei nur eine vorübergehende Erscheinung, der mag im Grundsatz zwar Recht haben, fragt sich nur, was unter vorübergehend zu verstehen ist und wie es mit dem Durchhaltevermögen im Einzelfall bestellt ist.
Insofern tat Jean-Claude Biver bei TAG Heuer genau das Richtige zur richtigen Zeit. Bereits jetzt, wo die Welt für einige Optimisten zumindest scheinbar noch in Ordnung zu sein scheint, hat er die Notbremse gezogen und strukturelle Anpassungen vorgenommen. Das kurz vor dem Stapellauf befindliche neue Manufakturkaliber (Calibre 80) wurde bis auf weiteres auf Eis gelegt, die Produktion und damit die Zahl der Beschäftigten an die rückläufige Nachfrage angepasst und was noch viel wichtiger ist, rasch erste neue Modelle lanciert und das zu einem absolut erfrischenden, weil verbraucherfreundlichen Endkundenpreis.
Das wird auch den ein oder anderen deutschen Uhrenhersteller zum Nachdenken anregen und fallweise zu manch tiefgreifender Reaktion und Entscheidung zwingen. Auch hierzulande lässt sich über die letzten Jahre eine Preisentwicklung beobachten, die sich von der Bereitschaft der Kunden, dieser bereitwillig und bedingungslos zu folgen, längst abgekoppelt hat.
Der Autor: Herr Dipl.-Ing. (FH) Patrick Weigert ist als Geschäftsführer einer Unternehmensberatungsgesellschaft überwiegend für die deutsche Automobilindustrie tätig und beobachtet und analysiert als Mitbegründer und Gesellschafter beim Deutschen Uhrenportal auch die Entwicklungen auf dem Sektor für hochwertige mechanische Uhren.
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